CLASSICS

Unglaublich modern

Die Idee kam von Porsche. Ferry Porsche wünschte einen Einstiegs-Porsche, der jungen Nutzern einen günstigen Zugang zur Porsche-Welt erlaubt. Schon deshalb ist der 914 ein typischer Porsche. Weil er Neues ausprobiert. Weil das Herzstück, der Motor, in der Mitte sitzt. Und weil die Form der Funktion folgt. Der 914 ist typisch Porsche, auch wenn er auf den ersten Blick gar nicht so aussieht. Doch der erste bekannte gestalterische Entwurf zitiert einen Porsche, der kaum typischer und geschichtsträchtiger sein könnte: den 550 Spyder.

Aus Idee wird Form: Ein schwerer Leitz-Ordner zeigt den Beginn, das unlackierte Modell den Schritt hin zum Serienfahrzeug.

Für das Design des 914 zeichnete Ferdinand Alexander Porsche mit seinem Team verantwortlich. Der Entwurf, der schließlich in die Serie umgesetzt wurde, stammte von einem seiner wichtigsten Mitarbeiter, Heinrich Klie. Eine Vertrauensperson für den ältesten Sohn Ferry Porsches, als er die Designverantwortung im väterlichen Unternehmen übernahm. Auch wenn der eigentliche Entwicklungsbeginn auf August 1966 datiert wurde, befinden sich im Bestand des Historischen Archivs der Porsche AG ältere Entwürfe. Betitelt mit: „914, Modell 1, August 1964, Entwurf: Klie“. Zu Lebzeiten beschreibt dieser die Entwicklung als einen iterativen Prozess, bei dem die Geschäftsleitung den Designern weitgehend freie Hand ließ. Über Änderungen sei erst nach den Präsentationen der Modelle im Maßstab 1:5 diskutiert worden. Für Ferdinand Alexander Porsche stand fest: „Der 914 war zu jeder Zeit ein völlig eigenständiger Entwurf, der auch formal gelungen war.“

Michael Mauer ist seit 2004 für das Porsche-Design verantwortlich und damit erst der dritte Design-Chef nach Ferdinand Alexander Porsche. Hier spricht er über die Nähe des ersten Entwurfs zum Vorbild 550 Spyder, über den Gestaltungsprozess gestern und heute und die Entwicklung der Porsche-Markenidentität.

Zeit für Geschichte: Michael Mauer tauchte ein in die Historie des 914. Es sind noch erstaunlich viele Relikte aus der Frühzeit dieses Projektes vorhanden, Relikte, die auch den Designer und Porsche-Fan fasziniert haben.

Michael Mauer: Im Modell 1 von 1964 sieht man direkt den 550 Spyder. Mir stellt sich sofort die Frage nach dem Lastenheft, nach der Grundausrichtung. Für einen Einstiegs-Porsche hätte man ja auch das Konzept 912, also einen Vierzylinder-911 weiterentwickeln können. Warum hat man sich dann wieder für das Mittelmotor-Konzept entschieden? Ganz spontan sieht man die Inspiration vom 550. Für mich als Designer ist das nachvollziehbar, weil das Auto auch im Wettbewerb das kleinste war, das agilste. Reduziert und puristisch. Das als Ausgangspunkt, als Start für die Entwicklung eines neuen Modells, als Inspiration zu verwenden, ist schlüssig.

Vom Konzept 550 zum 914. Eine Evolution, die 1969 im Ergebnis ein neues, eigenständiges Modell ist?

Für mich ist das bei genauerer Betrachtung nicht mal so sehr eine formale Evolution. Die Modelle machen deutlich, dass es eigentlich für den 914 keinen richtigen Vorgänger gab. Die verschiedenen Entwürfe, die sich ja teils stark unterscheiden, zeigen förmlich die Suche nach einem Konzept um das Thema 550 herum. Dieser war zu seiner Zeit schon Hightech, allerdings ein richtiger Rennwagen. Die Idee, wieder einen kleinen Mittelmotor-Wagen zu bauen, ist naheliegend. Daran orientiert man sich.

Auf den ersten Entwurf von 1964 folgt das Modell 2; das geht in eine ganz andere Richtung. Eigentlich viel eleganter, viel weniger sportlich. Das erinnert mich an vieles, aber nicht unbedingt an das Thema „klein, sportlich, puristisch“. Dieser – wie ich finde – relativ starke Unterschied zeigt, dass man damals ergebnisoffen auf der Suche war. Der Designprozess des 914 zeigt anhand der fünf Modelle von 1964 bis 1967 genau diese Suche nach einer neuen Baureihe neben dem 911. Das grundsätzliche Package war festgelegt, aber die formale Ausprägung zunächst noch enorm unterschiedlich. In der zeitlichen Abfolge ist man gestartet mit „so was wie der 550“, und dann ist die Diskussion offensichtlich in eine andere Richtung gegangen.

Vom 550-Nachfolger für die 1970er zu einem Entwurf, der letztlich doch ganz anders aussieht?

Ganz anders! Das deutet sich schon im zweiten Entwurf an, was ich sensationell finde. Dieser wirkt fast amerikanisch inspiriert. Das vierte Modell ist eigentlich gar nicht modern, und dann kommt der hier (Anm.: Modell 5, Klie). Insbesondere das Heck ist für die damalige Zeit und die Abfolge wahnsinnig modern. Aufgeräumt und clean. Das passt ins Bild. Daher überrascht es mich, dass der Entwurf vom Mai 1966 (Anm.: Modell 2) auch von F. A. Porsche war, das passt eigentlich gar nicht zu seiner Design-Philosophie. Wenn man sich das erste Modell von 1964 ansieht und mit der Entwicklung zwei Jahre später vergleicht, hat das überhaupt nicht diese Charakteristik und Anmutung des Grundgedankens 550. Das Ergebnis ist vergleichbar mit der Entwicklung vom 356 zum 911. Das war ja schon damals ein wahnsinnig mutiger Schritt, das neue Modell hat diese Modernität gehabt. Mit 914 Modell 3, fängt es an, genau diese Modernität zu bekommen. Auch wenn man sich hier die Fronten anschaut, diese klaren Flächen. Gute Proportionen. Der Entwurf von Juli 1966 ist ganz anders, eher passend zu Modell 2. Zwei konkurrierende Entwürfe auf deren Basis man dann eine Diskussion geführt hat. Zu dieser Zeit hat man sich dann aus meiner Sicht vollkommen richtig entschieden – für den deutlich moderneren Entwurf.

Die ersten Entwürfe unterscheiden sich deutlich, dann baut eines auf dem anderen auf und es entstehen die weiteren von zwei unterschiedlichen Designern zeitgleich.

Designer, die letztlich am gleichen Projekt arbeiten, reden ja miteinander. Um es mit heute zu vergleichen: Das ist eine Phase, wie die Entwicklung des Panamera. Zu dem Zeitpunkt wussten wir, was wir wollen, das Konzept stand, und wir haben im Prinzip zwei Varianten gemacht. Die eine so, die andere so. Und so wie man es an den Modellen zum 914 sieht: Man arbeitet ja nebeneinander. Man inspiriert sich gegenseitig, man befruchtet sich in seiner Arbeit. Man schaut auch mal rüber: Ja, das finde ich gut, und baut es ein.

Der 914 von 1969 ist ein echter Porsche mit Mittelmotor. Auch wenn er ganz anders aussieht als der 911. Sind Elemente wie der Targa-Bügel Mittel, um die Familienzusammengehörigkeit formal zu belegen?

Ein Sportwagen mit Mittelmotor ist in der Tat typisch Porsche. Zur Zeit der Auto Union ist die Konkurrenz noch mit Frontmotor gestartet, und Porsche entwickelt die ersten Mittelmotor-Rennwagen. Der 356 „Nr.1“ Roadster ist auch ein Mittelmotor-Fahrzeug. Das musste zugunsten der Serienmassentauglichkeit geändert werden. Vor diesem Hintergrund ist die Idee von Ferry Porsche nachvollziehbar: Jetzt machen wir noch mal so einen kernigen Einsteiger. Da ist der Mittelmotor das richtige Konzept. Der Targa entstand ja als Lösung für die Sicherheitsproblematik und die neuen Vorschriften aus den USA.

Eigentlich passt zu einem offenen, reduzierten, minimalistischen Konzept, was man vom 550 oder vielleicht auch vom Speedster kennt, maximal ein Minimaldach. Wenn aber die neuen gesetzlichen Vorschriften das nicht mehr ermöglichen, ist der Weg für den 914 klar. Im eigenen Haus hatten wir ja schon eine gute Lösung gefunden, um offenes Fahren und Sicherheit vereinen zu können: den Targa-Bügel. Schließlich stand das Konzept, die Idee „offen“ und „Sicherheit“ zu verbinden, und jetzt hieß es: modern machen! Das finale Design ist charakteristisch für die Styling-Philosophie unter der Leitung von Ferdinand Alexander Porsche. Über diese Gemeinsamkeit hat man quasi automatisch eine Markenidentität geschaffen. Wenngleich das sicher nicht die eigentliche Absicht war.

Das Konzept stellt die Weichen für die Form?

Das ist es, wie ich Porsche bis zum heutigen Zeitpunkt erlebe. Zunächst steht die Frage: Was wäre das beste Konzept? Einstieg, reduziert, sportlich. Was brauche ich wirklich am Ende des Tages, um beim Autofahren Spaß zu haben? So kommt man zum Mittelmotor. Und dann ist es auch naheliegend, die formale Charakteristik zu übertragen. Ein Auto zu machen, mit dem ich durch die Motorlage besonders attraktive Proportionen hinbekomme. Der 914 hat typische Mittelmotor-Proportionen, das muss man schon mal sagen. Ich wüsste nicht, ob es irgendetwas Vergleichbares gab, schon gar nicht in dieser Zeit.

Typ 914

Eine Frage zum zeitlichen Ablauf: Das erste Modell ist von 1964, 1969 kam der 914 auf den Markt. Ist das schnell? Wie sieht das heute aus?

Beim neuen Elfer, den wir Ende 2018 präsentiert haben, hat es von der allerersten Skizze bis zum Marktstart etwa vier Jahre gedauert. In diesem Fall (Anm.: Typ 992) handelt es sich um eine Weiterentwicklung, keine völlige Neuentwicklung. Beim 914 war es das aber. Beginn etwa 1964 und Marktstart 1969, also 5 Jahre. Das ist schon etwas! Insbesondere in der Zeit von 1967 bis 1969 ist es erstaunlich schnell gegangen. Das ist wirklich schnell.

Details wie die Front, insbesondere die Frontscheinwerfer, waren recht lange Gegenstand von Diskussionen. Doppelscheinwerfer oder Einzelscheinwerfer, das war die Frage. Die Version der klappbaren Doppelscheinwerfer war formal die stimmigere. Ganz besonders, wenn wir uns noch mal die Zeit vor Augen halten. Solche Konzepte in den Jahren 1965, 1967 – das ist schon der Wahnsinn. Interessant ist aus meiner Sicht die Frage der Philosophie. Der Elfer hat den einzelnen runden Scheinwerfer, und das günstigere Auto soll zwei bekommen? Das ist nicht logisch. Aber die Entwürfe sind schon supermodern.

Nach Prüfung verschiedener Gestaltungsvarianten kommt der 914 mit hochgezogenen Kotflügeln und markanten Blinkern auf die Straße.

Das passt zur Porsche-Peilkanten-Philosophie. Diese beschreibt, dass der Fahrer über die Kotflügel im äußeren Bereich eine Orientierung hat, wo das Auto gerade ist. Das Thema kommt bei Porsche vom Elfer.

Wenn du mit einem 911 auf einer Passstraße unterwegs bist, hilft genau das. In vielen anderen Sportwagen siehst du nur die Scheibe, aber nicht, wo dein Auto aufhört. Diese ausgeprägten Kotflügel geben Orientierung, wenn man im Auto sitzt. Das ist beim 914 auch umgesetzt. Ich weiß nicht, ob an dieser Stelle das Thema der Markenidentität, heute bezeichnen wir das als die „Bewegung über die Haube“, schon eine Rolle gespielt hat. Vermutlich eher nicht. Umgekehrt ging es vor einigen Jahren beim Panamera nicht darum, eine Peilkante zu formen, sondern um die Übertragung der Markenidentität. In dem Fall die, die sich über den 911 etabliert hat, auf ein Fahrzeug, das in ein gänzlich anderes Segment geht. So schwierig das ist, wenn der Motor vorn ist – aber da war es ganz klar ein stilistisches Element mit dem Ziel, Markenidentität zu übertragen.

Seitenlinie und Heck fanden ihre endgültige Form schneller als die Front. Über die Anordnung der Scheinwerfer wurde lange diskutiert. Doch das Konzept der einzelnen Klappscheinwerfer mit Fernscheinwerfern in der Stoßstange setzte sich letztlich durch.

Der 914 hat einen erstaunlich guten cW-Wert von 0,37. Selbst bei ausgeklappten Scheinwerfern und ohne aufwendige Computersimulationen. Schränkt die heutige Technologie den menschlichen Design-Einfluss ein?

Trotz aller Simulation und moderner Technologien glaube ich, dass wir nicht in der Kreativität eingeschränkt sind. Genau wie in den 1960ern. Die Jungs damals hatten natürlich ein Grundwissen. Beispielsweise, was aerodynamisch gut funktioniert und was nicht. Heute weiß man, Einzüge vor den Rädern und starke Einzüge dahinter sind das Schlimmste für die Aerodynamik. Wenn man sich den brutal geraden Grundriss des 914 ansieht, ist das die Antwort auf die Suche nach einer extrem modernen Form. Dann ist es wahrscheinlich, dass aus dem Anspruch, ein ganz modernes Auto zu machen, die Aerodynamik ganz wunderbar funktioniert hat. Sicherlich ist das Ergebnis kein Zufall, es gab genug Leute im Unternehmen, die von vornherein genau wussten, was funktioniert und was nicht. Und das ohne die heutigen Simulationsverfahren.

Früher waren die Ingenieure auch Designer. Wie viel Techniker muss ein Designer heute sein?

Du musst schon ein Grundverständnis haben. Will man bestimmte Dinge erreichen, geht das nicht ohne ein Grundwissen. Sonst könnten wir im Zweifelsfall ja auch nicht gegen die klassischen Techniker argumentieren.

Wie beurteilen Sie aus ganz persönlicher Sicht die Form des 914?

Ich finde den Wagen immer noch skurril, aber im Laufe der Diskussion ändert sich das Bild. Bislang habe ich mich mit dem 914 nicht wirklich intensiv auseinandergesetzt. Aus der Diskussion, die wir in der letzten Stunde geführt haben, und der Tatsache, dass ich begriffen habe, in welcher Zeit der entstanden ist, bin ich wieder an dem Punkt – das Ding ist unglaublich modern.

Wie das Ergebnis dann aus der Zeit heraussticht, ist beeindruckend. Das habe ich so nicht auf dem Schirm gehabt. Der Wagen hat fast keinen Grundriss, dieses Mittige ist extrem konsequent. Den Mut zu haben, so eine Fläche, so groß ohne Sicke, ohne alles zu gestalten, das ist wirklich der Hammer. Das Heck finde ich schon richtig gut. Auch der Prozess bis dahin ist aus heutiger Sicht faszinierend. Ich tue mich mit dem Auto dennoch irgendwie schwer, aber für mich überwiegt die Leistung der Zeit. So was hinzustellen. Auch die Detaillösungen: Die breiten Scheinwerfer sind der Hammer. Oder der Türgriff, der minimalistisch integriert ist. Völlig neu für Porsche. Wie es dort F. A. mit seinem Team gelungen ist – ähnlich schon wie beim Übergang vom 356 zum 911 –, dieses Moderne, Reduzierte reinzubringen, finde ich faszinierend. Je mehr ich mich mit dem 914 beschäftige: Das ist genau das, wofür ich heute auch kämpfe. Dieses Reduzierte, Puristische. Dinge integrieren und keine Linie zu viel.

Typisch Porsche: Michael Mauer erinnert an den 356 „Nr.1“ Roadster, der mit seinem Mittelmotor die Marke Porsche begründete. Der 914 nahm diese Philosophie wieder auf.

Gibt es eine Zukunft für den 914? Oder ist er zumindest eine Inspiration?

Diese Diskussion führen wir ja ständig. Es geht um die Frage nach dem Einstiegs-Porsche. Ich halte das für hochinteressant, allerdings gehen die Meinungen zur Ausprägung eines solchen Fahrzeugs auseinander. Porsche ist vermutlich die einzige Marke, die sich das auf eine ungewöhnliche Weise erlauben könnte. Ein Einstiegs-Porsche nicht auf den Preis bezogen, sondern im Sinne des Reduzierten. Ein Fahrzeug fast ohne jegliche Elektrik, alles mechanisch, puristisch. Die Idee finde ich schon spannend. Das andere ist ein Auto für eine Zielgruppe,die einen Audi TT RS oder einen Golf R32 fährt. Ein Porsche knapp über den bestehenden Angeboten, der zudem formal genau das ausdrücken müsste: ein ganz schlichtes, einfaches Auto. Im weitesten Sinne ein moderner 550. Dimensional kommt man schnell an Grenzen, allein der Fahrsicherheit wegen. Das bedingt automatisch eine gewisse Größe. Der Vertrieb sieht das möglicherweise ohnehin nochmal anders. Aus dieser Sicht wäre ein wirklich günstigerer Einstiegs-Porsche das Richtige, das ist aber nicht mein Ansatz. Puristisch, reduziert, also „back to the roots“. Da glaube ich, dass die Zeit dafür reif wird. Das wäre wieder Porsche-typisch.

Text erstmalig erschienen im Magazin Porsche Klassik 15.

Das ganze Interview erscheint in dem Delius-Klasing-Buch „50 Jahre Porsche 914“ – ab jetzt im Handel!

Text:
Frank Jung

Fotografie:
Deniz Calagan

Wir danken unserem Kompetenzpartner Porsche für den bereitgestellten Content.

Mehr Informationen unter:www.porsche.com